Diskussionsrunde zur Bundeswehr in Brake:
Streitkräfte brauchen mehr Rückhalt

Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat die Bundeswehr wieder stärker in die Mitte der Gesellschaft geführt – wohin sie auch gehört. „So gesehen,müssten wir dem russischen Präsidenten Wladimir Putin fast dankbar sein, weil er uns die Augen geöffnet hat.“ Das sagte der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Kossendey bei einer öffentlichen Diskussionsrunde des Hermann-Ehlers-Bildungsforums Weser-Ems der Konrad-Adenauer-Siftung (KAS) im Braker Schifffahrtsmuseum. Die trug den Titel „Zeitenwende in der Bundeswehr?“. Kossendey saß neben Ministerialrätin Susanne Bruns aus dem Bundesverteidigungsministerium, dem CDU-Landtagsabgeordneten Björn Thümler und dem Arzt Markus Wedemeyer, Mitglied des Regionalvorstandes der Johanniter-Unfall-Hilfe, auf dem Podium. Die Veranstaltung wurde von Alexandra Schwarting von der Werbeagentur Mangoblau moderiert. Eingeladen hatte die KAS gemeinsam mit Björn Thümler.

+++ Gutes Material fördert Motivation +++

Kossendey, von Oktober 2006 bis Dezember 2013 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, sorgte sich: Die gegenwärtige Aufmerksamkeit für Themen der Landesverteidigung und Bundeswehr könnte schon bald wieder ins Hintertreffen geraten. Die Meinung des Vizepräsidenten der Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik: „Viel zu viele Menschen haben sich daran gewöhnt, dass wir in Frieden und Freiheit leben.“ Doch wer Frieden und Freiheit wolle, müsse diese unter Umständen verteidigen. Dafür ist aus Sicht von Thomas Kossendey nicht nur eine gute Ausrüstung und Ausstattung der Bundeswehr erforderlich, sondern vor allem eine intensive Rückendeckung durch die Bevölkerung.
An der mangele es momentan noch, stellte Ministerialrätin Bruns fest; sie leitet den Psychologischen Dienst der Bundeswehr. Verschiedene Studien zeigten, dass die Soldatinnen und Soldaten Verständnis und Anerkennung der Gesellschaft schmerzlich vermissten. Doch einen sehr wichtigen Einfluss auf die Motivation habe auch die Qualität des verwendeten Materials, so Susanne Bruns.
Durch das 100-Milliarden-Euro-Paket wird sich die maerielle Situation für die Bundeswehr verbessern. Darin waren sich die Diskutanten einig – obwohl Markus Wedemeyer die Befürchtung äußerte, die Bundespolitik könnte sich „mit einer plakativen Summe freikaufen“ und die Diskussion nach dem Motto „Paket erhalten und nun ruhig sein!“ schnell zum Erliegen kommen. Nach Auffassung Thümlers ist das Investitionsvolumen von 100 Milliarden Euro notwendig, aber unzureichend. Vielmehr müssten inflationsbereinigt zusätzlich 25 Milliarden Euro pro Haushaltsjahr in die Verteidigung gesteckt werden; nur auf diese Weise seien die NATO-Verpflichtungen künftig erfüllbar. Björn Thümler kritisierte: „Die Zeitenwende scheint bei der Haushaltsplanung der Bundesregierung noch nicht angekommen zu sein. Denn 2022 werden nur etwa 1,3 Prozent der Wirtschaftsleistung im Kernhaushalt für die Verteidigung eingeplant.“

+++ „Zeiten der Friedensdividende vorbei“ +++

Doch: „Die Zeiten der Friedensdividende, in der Einsparungen bei der Verteidigung finanzielle Spielräume in anderen Politikbereichen ermöglichten, sind vorbei.“
Gegenwärtig bleibt der von Bundeskanzler Olaf Scholz geprägte Begriff der Zeitenwende nach dem Eindruck Thümlers inhaltsleer: „Außer neuen Schulden gibt es bis jetzt keine konkreten politischen Schritte, die die Bundesregierung mit diesem Wort verbunden hat.“
Breiten Raum der Debatte während der KAS-Veranstaltung nahm auch die Frage ein, ob in Deutschland ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr eingeführt werden sollte und das Aussetzen der Wehrpflicht eine richtige Entscheidung war. Die Diskutanten auf dem Podium waren sich darin einig, dass die Rückkehr zur Wehrpflicht zurzeit nicht erstrebenswert wäre. Und hinter ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr setzten sie ebenfalls große Fragezeichen. Eines der Argumente trug Susanne Bruns vor: „Ich möchte mich später als womöglich pflegebedürftiger Mensch nicht von Personen pflegen lassen, die dazu quasi gezwungen werden.“
Nichtsdestotrotz, formulierte Björn Thümler, könnte Deutschland durch „eine breit angelegte Diskussion“ über Pflichten gegenüber der Gesellschaft sowie über die Identiftikationsbereitschaft gegenüber Staat und Wertegemeinschaft „bereichert“ werden.

Foto:

v.l.n.r. Markus Wedemeyer, Björn Thümler, Susanne Bruns, Thomas Kossendey, Alexandra Schwarting

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