Sehr geehrte Damen und Herren,
die Zahlen des Bundeskriminalamtes sprechen eine deutliche Sprache. Fast an jedem dritten Tag wird eine Frau oder ein Mädchen in Deutschland aufgrund ihres Geschlechtes getötet. Konkret waren es im vergangenen Jahr in Deutschland 109 Frauen.
Eine weitere erschreckende Zahl: Jede dritte Frau erlebt in ihrem Leben mindestens einmal erhebliche körperliche und/oder sexualisierte Gewalt. Die Tendenz ist steigend.
Angesichts dieser Zahlen braucht es nach meiner Auffassung keine Begründung dafür, warum zum Beispiel in Form der Orange Days auf die Gewalt gegen Frauen aufmerksam gemacht und für sie sensibilisiert wird.
Ich freue mich darüber, dass die Orange Days und der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen auch in der Wesermarsch von einem relativ breiten Bündnis aus Privatpersonen, Vereinen und Institutionen getragen werden. Exemplarisch möchte ich die Bäckereien nennen, von denen fast alle im Kreisgebiet die Brötchentütenaktion unter dem Motto „Gewalt kommt nicht in die Tüte“ unterstützt haben.
Dass dieses Bündnis geschmiedet wurde, haben wir entscheidend der engagierten und wertvollen Arbeit der Beratungsstelle des Landkreises Wesermarsch gegen Gewalt an Frauen (LaweGa), den Gleichstellungsbeauftragten in den Städten und Gemeinden sowie der Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises Wesermarsch, Maren Ozanna, und ihrem Team zu verdanken.
Ich hatte im Sommer die Gelegenheit zu einem langen, intensiven Gespräch mit Frau Ozanna. Von ihrem leidenschaftlichen Einsatz gegen Gewalt an Frauen war ich beeindruckt und bin es noch. Aber ich war ebenfalls entsetzt, nachdem mir berichtet worden war, dass die Problematik in der Wesermarsch eine steigende Tendenz hat und sich durch alle Teile und Schichten der Gesellschaft zieht. Zum Beispiel stammen die Täter eben längst nicht nur aus bildungsferneren Kreisen, wie auf den ersten Blick möglicherweise gerne vermutet wird.
Das Internet verschärft die Situation in Sachen Hass und Gewalt gegen Frauen. Zwar sind Männer wie Frauen von Hass und Hetze im Netz betroffen. Allerdings zeigt sich, dass Frauen überproportional häufig im sexuellen Kontext beziehungsweise im Hinblick auf ihr äußeres Erscheinungsbild mit Hasskommentaren konfrontiert werden. Und: Es trifft gerade politisch argumentierende und handelnde Frauen, deren Standpunkte im Netz mit Häme und Hetze überzogen werden. Nicht selten beabsichtigen die Täter damit, diese Frauen mundtot zu machen und aus der Öffentlichkeit zu verdrängen.
Für mich steht fest: Hass, Hetze und Gewalt gegen Frauen im Netz müssen besser erkannt, umfassend benannt und entschieden bekämpft werden. Das gilt jedoch selbstverständlich nicht nur für das Internet.
Der Bericht über Gewalt gegen Frauen der Rechts- und Menschenrechtskommission der Europäischen Frauen-Union (EFU) und ein weiterer Bericht der UN Women, der sich auf Daten aus 13 Ländern seit der Corona-Pandemie stützt, belegt: Zwei von drei Frauen haben eine Form von Gewalt erlebt oder kennen eine Frau, auf die das zutrifft. Aber nur eine von zehn Frauen hat die Polizei eingeschaltet, um Hilfe zu erhalten. Der Bericht der EFU analysiert die Ursachen und den aktuellen Rechtsrahmen in den verschiedenen Ländern. Er kommt zu dem Schluss: Die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt im Allgemeinen und häuslicher Gewalt im Besonderen erfordert ein übergreifendes und koordiniertes Vorgehen der staatlichen Institutionen. An dieser Stelle müssen wir in Niedersachsen und deutschlandweit noch besser werden, obwohl meines Erachtens bereits große Fortschritte erzielt wurden.
Selbstverständlich reicht es nicht, wenn die jeweiligen Täter bestraft werden. Vielmehr ist ein vorbeugendes Handeln erforderlich. Für das sind die erwähnten Bündnis-Aktivitäten in der Wesermarsch ein sehr positives Beispiel.
Außerdem möchte ich die Frauenhäuser nicht unerwähnt lassen, die einen bedeutsamen Baustein zur Bekämpfung von Gewalt in den Familien bilden. Oft sind sie für Frauen und deren Kinder der letzte Ausweg.
Ich bin froh darüber, dass inzwischen auch ein Frauenhaus für die Kreise Ammerland und Wesermarsch betrieben wird. Aber zugleich stimmt es mich traurig und wütend, dass diese Einrichtung rege nachgefragt wird beziehungsweise werden muss.
Hier zeigt sich ebenfalls, dass alle, die sich gegen Gewalt an Frauen stark machen, einen langen Atem brauchen. Doch sie sind, wir sind nicht alleine!