Eine Apotheke ist kein Kiosk“
GESUNDHEIT – Jürgen Boom kritisiert Reformpläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach
WESERMARSCH. (uls) Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) möchte die Struktur und die Vergütung der Apotheken reformieren. Mit dem Schritt sollen weitere Schließungen wie im vergangenen Jahr mit rund 560 Geschäftsaufgaben verhindert und vor allem der ländliche Raum gestärkt werden. Denn in einer Region wie der Wesermarsch kann eine Schließung dazu führen, dass Patienten längere Wege zur nächsten Apotheke auf sich nehmen müssen.
Aufsicht per Video
Die Reformpläne des SPD-Politikers sind umstritten. Eine Apotheke zu betreiben, soll künftig einfacher werden. Die Apotheke könnte dann nicht mehr wie bisher nur von einem Pharmazeuten geleiten werden. Dieser wäre dann auch befugt, eine weitere Apotheke zu leiten. Ein weiterer Knackpunkt: Eine Apotheke im ländlichen Raum soll auch dann öffnen können, wenn keine Apotheker vor Ort sind. Beratung und Verkauf liegt dann in den Händen von pharmazeutisch-technischen Assistenten (PTA), die schon Patienten beraten und auch verschreibungspflichtige Medikamente ausgeben. Das geschieht unter Aufsicht eines Apothekers. Karl Lauterbachs Pläne zielen aber noch weiter. So sollen unter anderem PTA auch allein in der Apotheke arbeiten dürfen, sofern jederzeit ein Apotheker per Video zu erreichen ist.
Elementare Rolle
Der CDU-Landtagsabgeordnete Björn Thümler teilt die Kritik des Apothekerverbands am sogenannten Apothekenreformgesetz. „Diese Reform würde die Gesundheitsversorgung der Bürgerinnen und Bürger auch in der Wesermarsch verschlechtern“, ist der Politiker aus Berne überzeugt. Er erinnert auch an das besondere Engagement während der Corona-Pandemie: „Damals wurde uns eindringlich vor Augen geführt, wie wichtig Apotheken sind und welche elementare Rolle ihnen zukommt.“
Zweifelhaft findet der CDU-Landtagsabgeordnete ebenfalls die Passage aus dem Referentenentwurf, die den Betrieb von Apotheken ohne Apothekerinnen und Apotheker erlaubt, sofern diese über eine Verbund-Apotheke per Video zugeschaltet werden können. „Viele Kontrollfunktionen und Beratungsleistungen wären dann nicht mehr möglich“, stellt der Christdemokrat fest.
Notdienste am Limit
Der ländliche Raum wäre laut Björn Thümler benachteiligt. Leistungen wie zum Beispiel auch Nacht- und Notdienste könnten ausschließlich durch Apothekerinnen und Apotheker erbracht werden. Fielen diese weg, müsste mit mehr Zulauf in den Notdiensten der Ärzte und Krankenhäuser gerechnet werden – „und die sind ohnehin bereits am Limit“, betont der CDU-Landtagsabgeordnete. Dass das Apothekenhonorar angesichts deutlicher Kostenerhöhungen angehoben werden müsse, kann der Landespolitiker nachvollziehen. Seit 2013 sei das Apothekenhonorar nicht mehr erhöht worden. Bei Arzneimitteln zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verringere der Apothekenabschlag von zwei Euro inklusive Mehrwertsteuer das effektive Apothekenhonorar.
„Eine Katastrophe“
Für den Apotheker Jürgen Boom (SPD), Sprecher der Wesermarsch-Apotheker, sind die Reformpläne Karl Lauterbachs „katastrophal“. Er hätte nie gedacht, dass so etwas „von einem Genossen kommt“. Man werde so einen 1100 Jahre alten Berufsstand kaputt machen. „Wir heben uns von den Versand-Apotheken nicht mehr ab“, betont Jürgen Boom auf Nachfrage unserer Redaktion. „Das Studium ist eines der schwersten. Wir kennen die Medikamente und ihre Wirkungen. Apotheker müssen vor Ort sein, um beraten zu können“, sagt Jürgen Boom. Apotheken sind nach seinen Worten die letzte Instanz, die noch bei Arzneimitteln beraten kann. „Eine Apotheke ist kein Kiosk“, merkt er an. Die Reformpläne seien „nicht weit gedacht“ und würden dem Gesundheitssystem nicht helfen. „Das Apothekensterben ist eingeleitet, weil die finanziellen Mittel immer mehr gestrichen werden“, befürchtet Jürgen Boom weitere Auswirkungen der Reformpläne.
Ein Gesetzentwurf über die Vergütung und die Struktur der Apotheken soll in der kommenden Woche im Kabinett beraten werden.